Aeroakustik-Test per Scanning-Vibrometer

Klingt nichts, klingt‘s gut

Im Entwicklungsprozess sind oft Ziele miteinander zu vereinbaren, die in ihrer Kombination herausfordernd sind: Produkte der Automobilkonstruktion sollen in der Regel leise, leicht sowie emissionsarm und trotzdem komfortabel, zuverlässig und kostengünstig sein. Die Herausforderung für Hersteller besteht zudem darin, dass einzelne Komponenten zwar optimiert sein können, ihr Zusammenspiel aber zu neuen Schwachstellen führen kann. Speziell die Geräuschentwicklung eines Automobils ist stark von den Schwingungseigenschaften der im Produkt verbauten Teile abhängig. Bereits kleinste Norm-Abweichungen können zu einem Überschreiten der geforderten Grenzwerte führen. Und kundenseitig sind es nicht einzelne Komponenten, die überzeugen müssen, sondern der Gesamteindruck des Fahrzeugs zählt. Am Ende entscheidet eben der Qualitätsgrad des kompletten Produkts.

Fehlerbilder, die ungewollte Geräuschemissionen verursachen, können durch optische Messtechnik schnell identifiziert werden. Geräuschemissionen – beispielsweise durch Oberflächenprobleme oder bewegte mechatronische Komponenten verursacht – werden gerade im Fahrzeuginnenraum als störend empfunden. Analysieren lassen sie sich durch entsprechende Messtechnik bereits im Produktentwicklungsprozess, sodass Konstrukteure nötige Änderungen noch am Prototypen vornehmen können, falls vorgegebene Grenzwerte überschritten worden sind. Beispielsweise macht optische, berührungslose Schwingungsmesstechnik dynamische Eigenschaften sichtbar und eine schnelle Validierung von Modellen sowie effizientes Troubleshooting möglich. Verschiedene Vibrometer ermöglichen Schwinggeschwindigkeits- und -wegmessungenpunktuell oder flächenhaft. Insbesondere die scannende Laser-Doppler-Vibrometrie (SLDV) ist heute ein etabliertes Werkzeug in der Quantifizierung und Visualisierung von Betriebsschwingformen. Derzeit gilt die SLDV als das Verfahren mit der höchsten Auflösung von Wegen und Geschwindigkeiten. Es ermöglicht Auflösungen von Femtometer-Amplituden und ist linear und damit amplitudentreu bis in den Bereich von sehr hohen Frequenzen – derzeitüber 1 GHz. Diese Eigenschaften sind unabhängig vom Messabstand, sodass dieses Prinzip sowohl mikroskopisch als auch über sehr weite Distanzen eingesetzt wird. Licht als Sensor beeinflusst das Messobjekt nicht, ist also rückwirkungsfrei,und erlaubt deshalb auch Messungen auf äußerst kleinen und leichten Strukturen. Geräuschemissionen mechatronischer Systeme lassen sich bereits im Produktentwicklungsprozess durch den gezielten Einsatz von Körperschallanalyse analysieren, sodass Konstrukteure bei einem möglichen Überschreiten der vorgegebenen Grenzwerte die nötigen Änderungen noch direkt an den Prototypen vornehmen können. Im Vergleich zu Produktoptimierungen in der laufenden Fertigung sind damit wichtige Kosteneinsparungen verbunden. Zur Erfassung von Schwingungen im Bereich Automotive setzt Systemtechnik Leber beispielsweise Laservibrometer ein, um Schwingungen einzelner Bauteile präzise zu ermitteln und die Messwerte über eine Messumformer-Hardware an die Auswertungssoftware weiterzuleiten. Die je nach Anwendungsfall optimierte Auswertung der Messsignale macht mögliche Ursachen für die Geräuschentwicklung sichtbar und eröffnet die Möglichkeit, Ursachen und Maßnahmen zur Problemlösung – und damit zur Optimierung des mechatronischen Designs – zu ermitteln. Bei der Körperschallanalyse arbeitet Systemtechnik Leber eng mit Polytec, als Anbieter optischer Messtechnik-Lösungen, und Saab Medav Technologies, spezialisiert auf die NVH-Qualitätsprüfung (Noise VibrationHarshness) und das End-of-Line-Testing, zusammen.

Konstruktion leiser Fahrzeuge

Typische akustische Probleme bei Fahrzeugen – besonders in Leichtbauweise – sind Dröhnen, Wummern, Quietschen und Rattern (Squeak & Rattle), die Endkunden als störend empfinden und die es daher konstruktiv zu vermeiden gilt. Der Begriff NVH (Noise,Vibration & Harshness) fasst Maßnahmen zusammen, die den akustischen Komfort für Fahrer und Passagiere steigern. Mit zunehmendem Druck zur Qualitätsverbesserung steigt der Bedarf an finalen NVH-Prüfungen für Produkte wie Elektromotoren, Verbrennungsmotoren, Getriebe, Achsen und Turbolader in der Automobilindustrie. Das steigende Interesse an Elektrofahrzeugen mit niedrigem Geräuschpegel und fehlenden Maskierungseffekten verstärkt diese Entwicklung.

Leise, schwingungsarme Produkte zu entwickeln, ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Simulation und Test. Mit Scanning-Vibrometern kann die Quelle von Schallabstrahlungen quantitativ und mit hoher räumlicher Auflösung aufgedeckt werden. Flächenbeitragsanalysen und die Qualifikation von Dämmmaterialien (Sound Packages) werden durch den automatischen Scanning-Prozess deutlich erleichtert. Mit einem Scanning-Vibrometer lässt sich die Quelle der Schallanregung detailliert untersuchen. Dabei werden die Übertragungswege des Körperschalls und die verursachende Schwingform identifiziert. Gerade kurz vor dem Produktionsstart hilft die 3D-Visualisierung der Betriebsschwingformen dem NVH-Ingenieur, schnell Ideen zu finden, um das Problem zu lösen.

Welche Relevanz NVH-Prüfungen derzeit haben, hat die Übernahme der NVH-Qualitätsprüfanlagen von Saab Medav Technologies durch Siemens im März dieses Jahres gezeigt: „Mit der Integration von Lösungen für die NVH-Qualitätsprüfung von Saab Medav erhalten Kunden von Siemens die Möglichkeit, den digitalen Zwilling ihres Produktes mit kontinuierlichen Qualiftätskontrollinformationen aus der Fertigung zu bereichern. Dies gibt einzigartige Einblicke darüber, wie Produktionstechnologie und Variabilität in Fertigungslinien die Qualität des Endprodukts beeinflussen“, sagt Jan Leuridan, SeniorVice President, Simulation & Test Solutions, Siemens PLM Software. Die Technologie liefere direkte Informationen zur Analyse von konzeptbedingten Ursachen und Einflüssen, die bei der Herstellung bestehen und bringe Einsichten für Konzeptänderungen während der Produktentstehung. Durch einen kontinuierlichen Datenaustausch zwischen Produktion und Produktentwicklung sei „eine direkte Rückkopplung zu den Anforderungen für zukünftige Produkte möglich“, so Leuridan.

Olaf Strama, Head of NVH Department bei Saab Medav, sagt: „Siemens ist einer der Markt- und Technologieführer, wenn es um NVH-testbasierte Entwicklung und Simulation geht. Die Kombination aus testbasierten Erprobungstechnologien von Siemens und End-of-Line-Testing-Technologie – die Überprüfung der gesamten Funktionalitäten des Produktes – von Saab Medav wird eine starke Basis für zukünftige Innovationen in beiden Anwendungsbereichen bilden“.

Nico Schröder, Korrespondent KEM Konstruktion, Augsburg